Rede auf der Sondersitzung des Landesausschusses am 20.01.17

Am 20.01.17 tagte der Landesausschuss der LINKEN Berlin in einer Sondersitzung. Einziger Tagesordnungspunkt war der Umgang mit der Causa Holm. Meine Rede findet sich hier.

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Genossinnen und Genossen,

Lasst mich kurz zurück schauen:

als Katrin Lompscher am 7. Dezember im Landesausschuss mitteilte, dass sie Andrej Holm zum Staatssekretär für Bauen und Mieten berufen möchte, ging ein Raunen durch die Reihen. Die Zustimmung unter den mieten- und stadtpolitischen Initiativen und Organisationen war groß. ER sollte Katrin Lompscher und uns helfen, die im Koalitionsvertrag vereinbarte soziale Wende in der Wohn- und Mietenpolitik in politische Praxis umzusetzen. Wir wissen, dass das nicht ohne Widerstände abgehen wird. Die Immobilienwirtschaft im Land Berlin ist in hohem Maße vermachtet und in Teilen seit Jahrzehnten sozialdemokratisches Erbland. Hier zu einer Neuausrichtung und sozialen Bändigung zu kommen, ist eine schwierige Aufgabe, die die gesamte Kreativität und das gesamte politische und strategische Können unserer Akteurinnen und Akteure im Senat, der Fraktion, der Partei bedarf und des Drucks von den stadtpolitischen Initiativen.

Den Koalitionspartnern war die Stasi-Geschichte bekannt, Andrej hatte sich 2007 in der taz offen dazu bekannt.

Dass es Gegenwind geben würde, war uns bewusst. Was dann passierte, haben wir in der Heftigkeit nicht erwartet.

Die Medien haben die Stasi-Geschichte ausführlich diskutiert. Es gab Stimmen, die Andrejs Arbeit für das MfS als geringfügig beurteilten, es gab viele, die in der Berufung eines ehemaligen Angehörigen des MfS einen völligen Tabubruch sahen, ganz gleich, was er real getan hat. Und es gab etliche, denen es nicht um die Stasi ging, sondern um Andrejs linksundogmatische radikale politische Verortung. Eine nicht ganz unkomplizierte Gemengelage.

Dennoch wurde er zum Staatssekretär berufen, mit Zustimmung des gesamten Senats.

Die Stimmung kippte, als der Tagesspiegel den Personalfragebogen der HU ausgrub. Dort hat Andrej unwissentlich falsche Angaben gemacht. Er war davon ausgegangen, dass er von September 1989 bis Ende Januar 1990 zwar bei der Staatssicherheit war, aber nicht als hauptamtlicher, sondern als eine Art Azubi.

Spätestens ab da sollte Andrej zu Fall gebracht werden.

Um nicht missverstanden zu werden: ich werfe den Medien nicht vor, dass sie gründlich recherchieren. Das ist ihr Job und das braucht es auch für eine funktionierende Demokratie. Allerdings bekam die Berichterstattung angefeuert durch die rechte und reaktionäre Opposition zum Teil Kampagnencharakter. Erst später kamen auch diejenigen zu Wort, die für die Zwischentöne sorgten, die deutlich machten, was in der Wendezeit geschah, welchen Charakter solch ein Fragebogen hatte und dass es sehr wohl möglich sein kann zu vergessen, was genau man wann in welchen Fragebogen geschrieben hat.

Damit kamen zu den politischen Problemen mit der Stasi-Vergangenheit, der politischen Verortung auch noch der Vorwurf der Lüge und das arbeitsrechtliche Verfahren bei der HU.

Am 16. Dezember machten wir einen Koalitionsausschuss und gewannen die Partner dafür, jetzt keine Entlassung zu verlangen. Die Linke sagte zu, alle vorliegenden Dokumente mit Expertinnen und Experten zu prüfen und zu einer Gesamtbewertung zu kommen. In der Öffentlichkeit kam an, die HU solle entscheiden, nicht nur über ihren Arbeitsvertrag mit Andrej, sondern auch über seine politische Zukunft.

Das war nicht der Fall.

Doch trug dieser spin bis über Weihnachten.

Zugespitzt hat sich die Situation letzte Woche Donnerstag im Plenum des Abgeordnetenhauses. Andrej hatte mit der HU verhandelt, seinen Arbeitsvertrag in gegenseitigem Einverständnis aufzulösen, um den Druck von ihr zu nehmen und den Weg für eine politische Verständigung frei zu machen.

Für den Regierenden Bürgermeister und seine Stellvertreterin von den Grünen kein  gangbarer Weg. Stattdessen scharfe Vorwürfe der SPD-Abgeordneten West in einer Plenardebatte zu Andrej unter lautem Gejohle der Opposition und das, nachdem der Fraktionsvorsitzende der SPD am Vormittag bereits eine Rede zur Inneren Sicherheit gehalten hat, mit der er ebenfalls unter Gejohle der reaktionären Opposition den Regierenden Bürgermeister demontiert hat.

Davon waren die Zeitungen am nächsten Tag voll. Andrej nahm vom Auflösungsvertrag Abstand und veröffentlichte eine persönliche Erklärung, in der er sich u.a. bei den Opfern von Stasi-Unrecht entschuldigte. Unser Landesvorstand reagierte mit einer Erklärung, dass wir Andrej weiter unterstützen.

Bei dem bereits durch die Presselektüre angegriffenen Regierenden kam das als Ultimatum an, dass er sich hinter Andrej stellen solle und führte zur gegenteiligen Reaktion. Er teilte Katrin mit, dass sie Andrej entlassen solle. Katrin  und Klaus baten ihn inständig, auf die Veröffentlichung einer solchen Erklärung zu verzichten. Das sagte er zunächst zu.

Doch am letzten Samstag gegen 14 Uhr erfuhren wir, dass er die Erklärung veröffentlichen wird.

Ihr sollt das alles wissen, damit auch klar wird, dass Katrin und Klaus zwar informiert wurden, dass ein solches Vorgehen aber niemals abgesprochen war. Und selbstverständlich wurde es dann hektisch. Die SenatorInnen, Landes- und Fraktionsvorsitzende haben sich Samstag und Sonntag lange lange mit Andrej getroffen. Für uns war klar: Katrin wird Andrej nicht entlassen, weil Müller es verlangt. Eine Weigerung hätte Müller nur mit der Entlassung von Katrin beantworten können. Die Koalition wäre zu Ende gewesen. Das wollte Andrej nicht.

Andrej hatte schon früher seinen Rücktritt angeboten, war aber bereit, mit uns alles zu versuchen, das zu vermeiden. Und das war für ihn die Hölle.

Am Sonntag nachmittag war dann vereinbart, dass er stadtpolitische Gruppen zusammen ruft und dort seinen Rücktritt erklärt. Er wollte nicht, dass die Koalition an seiner Person platzt statt an inhaltlichen Differenzen.

So geschah es am Montag und am Abend war die Veranstaltung mit den Initiativen.

Wir haben eine Solierkärung abgegeben, auch die Grünen Landes- und Fraktionsspitze hat eine Erklärung abgegeben, die sehr okay war. 

Am nächsten Tag habe ich einen Koalitionsausschuss beantragt, der dann am Mittwoch auch tatsächlich stattfand. Wir haben dort sehr unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Koalition auf des Messers Schneide steht und dass wir einen solchen Umgang miteinander nicht akzeptieren. Nach drei Stunden Diskussion war dann klar, dass wir anders miteinander umgehen müssen, nicht mehr interpretieren, was der andere meinen, finden, und gemeint haben könnte, sondern anrufen, reden. Das klingt alles ein bisschen nach Psycho. Das ist es auch. Wo kein Vertrauen ist, muss es wachsen oder zumindest müssen Verfahren her, die es uns möglich machen, das umzusetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben und wofür 89 Prozent unserer Mitglieder gestimmt haben.

Und deshalb geht es jetzt auch nicht um business as usual, war mal ein bisschen ruckelig. Und wir machen einfach weiter. Nein, unsere eigene Probezeit läuft. Wir wollen den Politikwechsel durchsetzen und das geht nur, wenn der Koalitionsvertrag auch vernünftig abgearbeitet wird, wenn Schluss ist mit Basta-Politik, wenn die vereinbarten Beteiligungsformate der Stadtgesellschaft auch eingeführt werden, wenn es uns gelingt, gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, um diese Stadt den Verwertungsinteressen von Unternehmen und ihren Lobbyisten zu entreißen.

Und auch wir haben Fehler gemacht. Wir haben die Vehemenz der Stasi-Diskussion unterschätzt, wir haben nicht damit gerechnet, welche Wunden diese wieder aufreißt. Es war uns nicht klar, dass die Diskussion 27 Jahre nach der Wende viel polarisierter ist als in den 90er Jahren. Deshalb müssen wir uns als Partei der geschichtspolitischen Diskussion stellen, nicht mit den Knabes, deren Urteil ist gefestigt, aber mit den fortschrittlichen DDR-Oppositionellen, mit den Kirchenleuten, der Havemann-Gesellschaft, unseren eigenen Leuten in der historischen Kommission. Und das müssen wir nicht für die Opposition oder für die Medien tun, sondern um unserer selbst willen. Wir haben die Akte von Andrej nicht genug geprüft auf mögliche weitere Fallstricke. Den HU-Fragebogen hätten wir allerdings mit bester Vorbereitung nicht bekommen.

 

Die Koalition ist in einer Krise und gleichzeitig zum Erfolg verdammt. Auf der andren Seite steht eine Opposition aus CDU, AfD und FDP, die im Parlament nicht nur gemeinsam johlt, sondern  die Polarisierung der Gesellschaft entlang der Scheidelinien Rassismus und Neoliberalismus vorantreibt. Wenn wir das Berlin der Vielfalt, der Solidarität entwickeln und verteidigen wollen, dürfen diese Kräfte mitsamt ihren außerparlamentarischen Verstärkern keinen Stich bekommen, nicht parlamentarisch, nicht außerparlamentarisch. Wir sind auch zum Erfolg verdammt, um unsere bislang gute Ausgangsposition für die Bundestagswahl am 24 September nicht zu verlieren. Wir haben jetzt eine Niederlage eingefahren, aber wir haben einen Auftrag, den Politikwechsel in Berlin zu organisieren mit unseren bündnispartnerinnen und Bündnispartnern. Und deshalb müssen wir klare Kante zeigen und gleichzeitig hart für die Umsetzung des Koa-Vertrags arbeiten. Deshalb brauchen wir die – auch konfliktgeladene – Diskussion mit den mieten und stadtpolitischen Initiativen. Deshalb wollen wir ziemlich schnell einen Ratschlag durchführen.

Letzte Bemerkung:

Andrejs Zukunft. Er will uns weiter unterstützen und das wird selbstverständlich jobmäßig abgesichert, damit er jetzt nicht auch noch um seine Existenz fürchten muss. Solidarische Grüße an die Studierenden der HU, die seit Mittwoch gegen die Kündigung Andrejs demonstrieren.

Und allerletzte Bemerkung:

Alle Spekulationen und Medienberichte über eine Nachfolge für Andrej entbehren jeglicher Grundlage.