Offene Grenzen für Menschen in Not sind unverhandelbar

Katina Schubert

Wie hält es DIE LINKE mit der Flüchtlingspolitik, der Freizügigkeit innerhalb der EU, also den offenen Grenzen, mit der Sicherheitspolitik und der Bekämpfung islamistischen Terrorismus. Diese Fragen bewegen die Partei unter den Augen der interessierten Medienöffentlichkeit in diesen Tagen mal wieder. Ich habe mich zu dieser Frage genervt geäußert. Das hat der Diskussion in der Sache nicht geholfen. Deshalb will ich mich hier noch mal mit den Positionen und Argumenten von Sahra Wagenknecht auseinandersetzen und nehme den Fäkalbegriff zurück.

Wie hält es DIE LINKE mit der Flüchtlingspolitik, der Freizügigkeit innerhalb der EU, also den offenen Grenzen, mit der Sicherheitspolitik und der Bekämpfung islamistischen Terrorismus. Diese Fragen bewegen die Partei unter den Augen der interessierten Medienöffentlichkeit in diesen Tagen mal wieder. Ich habe mich zu dieser Frage genervt geäußert. Das hat der Diskussion in der Sache nicht geholfen. Deshalb will ich mich hier noch mal mit den Positionen und Argumenten von Sahra Wagenknecht auseinandersetzen und nehme den Fäkalbegriff zurück.

Im Abstand von jeweils einem halben Jahr versucht Sahra Wagenknecht die Positionen der Linken in Sachen Flüchtlings- und Migrationspolitik neu zu justieren und bedient sich dabei Bilder und Argumentationsmuster, die ansonsten vor allem von Konservativen und dem rechten Flügel der Sozialdemokratie bemüht werden.

Vor einem Jahr sagte Sahra Wagenknecht in Reaktion auf die sexualisierten Gewalttaten gegen Frauen in der Sylvesternacht in Köln: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht eben auch verwirkt." (11.1.2016)

Die Konsequenz: Die Schuldigen sollten das Land verlassen. Das ist ein gängiges Argumentationsmuster, gerne vom Agenda 2010-Kanzler Schröder bemüht, geht aber mindestens an den rechtlichen Voraussetzungen und den Grundbedingungen linker Politik vorbei. Sexualisierte Gewalt von verbalen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen sind Verbrechen und müssen ohne Ansehen der Person verfolgt werden. „Nein heißt Nein“ lautet die Losung der feministischen Anti-Gewaltbewegung, die jetzt zumindest in Teilen auch Eingang in die Gesetzgebung gefunden hat. Solche Straftaten sind entsprechend zu ahnden und die Täter vor Gericht zu stellen. Ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen und überdies zu suggerieren, geflüchtete Menschen seien lediglich Gäste, deren Aufenthalt hier von der Gnade des Staates abhängig sei und jederzeit widerrufen werden könne, ist rechtlich und politisch falsch. Wer als Flüchtling in das Land kommt, hat einen Anspruch auf Aufenthalt, solange die Prüfung seines oder ihres Antrags läuft und eine Entscheidung gefallen ist. Das Aufenthaltsrecht ist kein Strafrecht, auch wenn es führende Sicherheitspolitiker von De Maiziere über Seehofer bis hin zu diversen Landesinnenministern so begreifen und gestalten wollen.

Vor sechs Monaten stand die Republik unter dem Eindruck der Terroranschläge von Ansbach und Würzburg sowie dem rechtsextrem motivierten Amoklauf von München.

Sahra sagte damals: „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte. Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“ (Erklärung 25.7.2016)

Wieder werden geflüchtete Menschen unter Generalverdacht gestellt: weil einzelne Täter Verbrechen begangen haben, suggeriert Sahra mit ihrer Erklärung, dass die Geflüchteten insgesamt ein Sicherheitsrisiko darstellen. Auch hier lehnt sie sich an die Topoi konservativer und sozialdemokratischer Sicherheitspolitiker an, die Terror-Anschläge zum Anlass nehmen, weitere Einschränkungen von Grundrechten wie dem auf Asyl  und weitere Befugnisausweitungen für die Sicherheitsbehörden zu fordern.

Es gibt viel zu kritisieren an der Politik der Bundesregierung, gerade auch an ihrer Flüchtlingspolitik. Die Aufnahme von knapp 900.000 Geflüchteten im Jahr 2015, die Aussage „wir schaffen das“ gehören gerade nicht dazu. Die Ankunft hunderttausender von Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Not und Verzweiflung geflohen sind, hat eine gesellschaftliche Bewegung der Solidarität, des Willkommens, der Unterstützung auf den Plan gerufen, die weit über die Bewegung gegen die Schleifung des Grundrechts auf Asyl Anfang der 90er Jahre hinausging. Tausende von Leuten helfen, unterstützen geflüchtete Menschen in den Unterkünften, auf den Ämtern. Es gibt tausende von selbstorganisierten Unterstützungsinitiativen, die eine Willkommenskultur organisiert haben, zu denen viele staatliche Institutionen weder willig noch fähig waren. Die Unfähigkeit der Bundesregierung, vieler Landesregierungen und die Überforderung vieler Kommunen, 2015 die Aufnahme der geflüchteten Menschen zu organisieren, muss kritisiert werden, keine Frage. Sahras Formulierung aber stellt die Aufnahme der Geflüchteten insgesamt in Frage und ist ein Schlag ins Gesicht der vielen Unterstützungs-Initiativen.

Es hat Ende Juli 2016 wieder eine intensive Diskussion in der Partei und ihrer Bundestagsfraktion gegeben, klare Stellungnahmen der Parteiführung, dass unsere antirassistischen Grundpositionen nicht zur Disposition stehen, dass wir zum Grundrecht auf Asyl und zu offenen Grenzen stehen. Und dennoch versucht Sahra wieder, die Parameter unserer Flüchtlingspolitik nach rechts zu verschieben. Im Stern sagte sich am 5. Januar dieses Jahres unter anderem:

„Es geht um die unkontrollierte Grenzöffnung, die in ganz Europa kritisiert wurde. Es gibt in Deutschland ein Grundrecht auf Asyl. Aber es war unverantwortlich, eine Situation zuzulassen, in der wir noch nicht mal mehr wussten, wer ins Land kommt. Und natürlich ist Integration nur möglich, wenn es genügend Arbeitsplätze, genügend Wohnraum gibt. Merkel hat sich um all das kaum gekümmert. Außerdem: Wer trägt die Kosten? Werden sie auf Mittel- und Geringverdiener abgewälzt, führt das zu großer Abwehr, die sich dann von rechts instrumentalisieren lässt.“ (Stern 5.1.2017)

Punkt 1: Es hat keine Grenzöffnung gegeben. Im Schengen-Raum gilt oder galt das Prinzip der offenen Grenzen und das war auch gut so, eine der wenigen Errungenschaften des Schengener Abkommens, die wir immer unterstützt haben. Merkel hat die Grenzen also nicht geöffnet, sondern nicht geschlossen, was ihr Kritik von anderen konservativen EU-Regierungen eingebracht hat, was aber die einzige humanitär vertretbare Lösung war.

Punkt 2: Es wurden nicht alle Geflüchteten sofort registriert. Das ist richtig und hat das Staatsversagen in vielen Ländern/Kommunen deutlich gemacht. Es gab für viele Geflüchtete unzumutbare Bedingungen, bis sie ihren Antrag stellen, eine Unterkunft bekommen und ihre Leben anfangen konnten zu organisieren. Von Berlin wissen wir, dass das bis heute schwierig ist. Das ist selbstverständlich zu kritisieren. Sahras Einlassung kritisiert aber nicht die Probleme der Geflüchteten mit der fehlenden Registrierung, sondern fehlende polizeiliche Erkenntnisse, dass möglicherweise Terroristen als Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Auch mit dieser Formulierung wird eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht gestellt. Der ganz überwiegende Anteil der Geflüchteten sind vor dem Terror des IS, der Boko Haram, Al Quaida, den Taliban und anderen Organisationen, vor dem Bürgerkrieg in Syrien, dem Irak geflohen. Wir wissen auch nicht, ob die Täter von Ansbach, Würzburg und Berlin als Terroristen ins Land kamen oder ob sie sich erst hier bzw. im Falle von Amri auch in Italien radikalisiert haben. Gerade in solchen Fragen ist höchste Sorgfältigkeit in der Argumentation notwendig. Wir können nicht ausschließen, dass Terroristen als Flüchtlinge getarnt kommen, das können auch die Sicherheitsbehörden in der Regel nicht erkennen, sofern die Betreffenden nicht schon vorher auffällig geworden sind.

Was wir aber wissen ist, dass der IS, dass Salafisten gezielt versuchen, geflüchtete Männer in verzweifelten Situationen anzuwerben, hier in Deutschland. Deshalb sind Präventionsprogramme, die Öffnung von Ausbildungs- und Bildungswesen, die Öffnung für eine schnelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die Schaffung von günstigem Wohnraum zentrale Herausforderungen auch zur Terrorismusbekämpfung.

Sahras These, Merkel sei Mitschuld am Terroranschlag von Berlin, halte ich nicht für zielführend. Wir sind uns einig, dass die Kriege in Afghanistan, im Irak die Entstehung der Terrorganisationen forciert haben, dass die westlichen Interventionen zum Beispiel in Libyen die Fluchtbewegungen verstärkt haben. Aber die Verantwortung für Terror tragen die handelnden Personen, aus der Verantwortung darf man niemanden entlassen.

Punkt 3: die Kosten. Ja, humanitäre Verpflichtungen kosten Geld. Die Bundesrepublik Deutschland ist trotz der fortschreitenden Spaltung in arm und reicht immer noch eines der reichsten Länder der Erde. Und es muss unser Ziel sein, diese Spaltung aufzuheben, die Armut zu bekämpfen, aber niemals die Interessen von marginalisierten Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Vielleicht hat sie es nicht so gemeint, aber genauso lese ich diesen Punkt.

Natürlich frage ich mich, warum Sahra in regelmäßigen Abständen den Keil in die Partei treibt und diese Debatte wieder hoch zieht. Will sie so tatsächlich Wählerinnen und Wähler für die AfD gewinnen? Dazu hat Tobias Schulze sehr kluges aufgeschrieben.

Wir haben als LINKE noch einen Weg vor uns, unser antirassistisches und antifaschistisches Profil weiter zu entwickeln, zu einem überzeugenden migrationspolitischen Konzept zu kommen, das auf dem Recht auf Freizügigkeit fußt. Ich fände es gut, wenn wir die Debatte auch im Zusammenhang mit der Programmerstellung zur Bundestagswahl gemeinsam führen könnten, in den Gremien der Partei, auf den Regionalkonferenzen und letztlich auf dem Bundesparteitag.